Ein Leben nach Facebook

Vor einem halben Jahr habe ich mein Account bei Facebook geschlossen (löschen lassen sich die persönlichen Daten ja nicht). Ich hatte mich zuvor während nicht ganz zwei Jahren unterschiedlich aktiv auf FB bewegt und mich mit ca 100 “Freunden” vernetzt.

Die erstaunlicherweise recht zahlreichen Reaktionen meiner Freunde über meinen Austritt reichen von Unverständnis über Enttäuschung bis in zu Neugier und Interesse. Gerade heute wurde ich wieder gefragt, wie es sich denn ohne FB so lebt, und ob ich mich unvernetzt fühle.

Es ist gar nicht so leicht diese kurze Frage knapp zu beantworten. Darum mache ich das etwas ausführlicher.

Neue alte Bekannte

Es ist tatsächlich so, dass ich über FB Kontakte zu Leuten wiederherstellen konnte, die ich seit langer Zeit nicht gesehen und somit aus den Augen verloren hatte. Der Spruch aus den Augen – aus dem Sinn trifft ebenso zu wie der Umkehrschluss. Dadurch dass ich sie in FB “sah” habe ich mir regelmässig über sie und das gemeinsam Erlebte Gedanken gemacht. Der Entdeckung folgte meist ein kurzer Austausch über die persönlichen Lebenssituationen sowie das Versprechen sich doch bald mal wieder richtig treffen zu wollen. Letzteres hat nur genau ein Mal stattgefunden, und es ist auch nur bei einem Treffen geblieben. Ein Transfer der virtuellen Begegnungen in die physische Welt hat also kaum stattgefunden.

Auch andere nachhaltige Formen der Beziehungspflege (beispielsweise in der Art einer Brieffreundschaft) haben sich nicht ergeben.

Diese Art von Wieder-Begegnungen sind mir bisher praktisch nur in FB passiert, und fallen jetzt weg. Da sie aber nicht nachhaltig sind und kein Transfer stattgefunden hat, hält sich mein Bedauern in Grenzen

Infos über entfernte Freunde und Bekannte

Mit entfernten Freunden und Bekannten meine ich solche, die ich ohne etwas besonderes tun oder organisieren zu müssen alle 1-2 Jahre mal sehe und durchaus schnell in ein freundschaftlich, angeregtes Gespräch fallen kann. Meist gab es eine Periode in der Vergangenheit, in der die Beziehung intensiver war, und so kann man an vertrauten Themen anknüpfen.

Durch die FB-Statusmeldungen hatte ich den Eindruck besser über die Lebensumstände der Bekannten informiert zu sein. Oft fiel bei einer physischen Begegnung das Gespräch auf ein Thema, das aus FB stammte.

Einen verstärkten persönlichen Austausch, sei es über FB, Mail oder andere Kanäle konnte ich allerdings nicht feststellen.

Vertiefung bestehender Freundschaften

Oftmals gaben Statusmeldungen in FB Anlass zu Diskussionen, Scherzen oder Bemerkungen mit Arbeitskollegen oder anderen Personen denen ich häufig begegnete. Als in in FB “drin” war hatte ich dies als Gewinn betrachtet. Ohne FB habe ich aber nicht das Gefühl, weniger Anknüpfungspunkte für lustige oder ernste Bemerkungen zu haben, oder überhaupt etwas zu verpassen. Der Grund dafür ist wohl, dass einen nicht heiss macht was man nicht weiss.

Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ich fühle mich nicht wirklich weniger vernetzt, muss aber zugeben, dass FB durchaus einen Unterschied macht. Es erleichtert einem das (um den nackenhaarstäubenden Ausdruck zu gebrauchen) Beziehungsmanagement. Ich habe aber nicht im geringsten den Eindruck, dass die Pflege von Beziehungen, Bekanntschaften und Freundschaften ohne FB spürbar schwieriger wäre. Eines habe ich in meinem postfacebookianischen Leben aber zweifellos: mehr Zeit.

One thought on “Ein Leben nach Facebook”

  1. Deine persönlichen Erfahrungen mit Facebook habe ich interessiert gelesen. Dein konsequenter Schritt den Account nach langer Nutzung wieder zu deaktivieren kann ich sehr gut verstehen.

    Ich habe bis jetzt noch keine Anmeldung im FB Netz unternommen, obwohl an jeder Ecke dafür geworben wird. Alle sich bietenden Möglichkeiten der Kommunikation ausprobieren und dann mit Inhalt zu nutzen ist schon ein Glücksfall in unserem technologischen Gemeinwesen. Wenn aber die Inhalte nicht den persönlichen Erwartungen und Ansprüchen genügen kommt “Lange Lange Weile” auf.

    Zuerst die Inhalte dann das zu übertragende Medium. Aber auch ein neues Medium kann neue Inhalte ermöglichen.

    Im Kraftzentrum dieser Dynamik sollten wir stehen.

    Politische Anmerkung:
    Nicht im regionalen kleinbürgerlichen Sumpf stecken bleiben lieber
    den global wirksamen Herausforderungen gerecht werden und sich
    für anstehende persönliche Enscheidungen informieren und bilden.
    Soviel Zeit zu verschwenden haben wir nicht.
    Diese Anmerkungen sind nur ein in Worte gefasster Kompromis der Gedanken zu FB.

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